Einleitung

KARL SCHWARZ
Zur Protestantengeschichte des Donau- und Karpatenraumes

Am 28. November 2000 fand in der Aula der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava/Pressburg ein kleines Symposium zum Thema Protestantengeschichte des Donau- und Karpatenraumes statt. Anlass dieser Veranstaltung, der neben dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Dr. Frank Lambach und dem österreichischen Gesandten Dr. Johannes Eigner auch der Prorektor der Comenius-Universität Prof. Dušan Mlynarčík durch seine Teilnahme auszeichnete, war die Eröffnung des Instituts für Kirchengeschichte des Donau- und Karpatenraumes/Inštitút pre cirkevné dejiny v oblasťi Dunaja a Karpát. Einen glanzvollen Höhepunkt diplomatischer Beteiligung setzte der als Österreichs Botschafter für ganz Mitteleuropa apostrophierte Regierungsbeauftragte für die EU-Osterweiterung Vizekanzler a.D. Dr. Erhard Busek. Er ließ in seinem launigen Grußwort eine kleine Reminiszenz an seine protestantische Familiengeschichte in Teschen (Těšín/ Cieszyn) einfließen, die ihn über einige Ecken mit dem polnischen Ministerpräsidenten Jerźy Buzek verbindet , er erinnerte vor allem an die Notwendigkeit des Aufeinanderzugehens im zusammenwachsenden Europa gerade auch unter historischen Aspekten. Gegen die Vision von Samuel Huntington vom „Clash of Civilisations“, dem aus religiösen Gründen genährten Kampf der Kulturen, stellte er die friedensstiftende Sendung des Christentums und positive Erfahrungen historisch gewachsener Toleranz zwischen den Konfessionen. Friede könne freilich nur dann wirklich werden, so Busek, wenn wir wissen, woher wir kommen, damit wir erkennen können, wohin wir gehen sollen.

Das Institut ist keine Neugründung, vielmehr blickt es auf eine knapp dreißigjährige Geschichte zurück. Als Institut für Protestantische Kirchengeschichte Wien von der Evangelischen Kirche in Österreich in Verbindung mit dem Ostkirchenausschuss der Evangelischen Kirche in Deutschland 1973 ins Leben gerufen , gewissermaßen als Zwillingsinstitut zum Ostkircheninstitut in Münster , oblag ihm die Forschungsarbeit an der Kirchengeschichte und Kirchenkunde des Südostmitteleuropäischen Raumes . Unter seinem langjährigen Direktor Univ.-Prof. Dr.theol. Dr.phil. Dr.h.c. (Budapest) Peter F. Barton setzte das Institut zahlreiche Initiativen und gab mit insgesamt 31 Bänden in sechs Buchreihen der „Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte“ ein respektables Lebenszeichen von sich . Es gipfelte zuletzt in einer „Bibliographie zur Geschichte der evangelischen Christen und des Protestantismus in Österreich und der ehemaligen Donaumonarchie“ , die zugleich eine bemerkenswerte Bilanz der Institutsarbeit erlaubt.

Peter Friedrich Barton (*1935) hat als Reformationshistoriker begonnen, hier vor allem über die späte Reformationszeit gearbeitet, ehe ihn der aufregende Lebensweg des ungarischen Kapuzinerpater Ignatius Aurelius Fessler (1756-1839) von Zurndorf zum lutherischen Bischofsamt der Wolgadeutschen in Saratow so faszinierte, dass er diese Arbeit als Habilitationsschrift an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät einreicht . Die Druckfassung hat dann eine erheblich erweiterte zweite Auflage (in bisher vier bis 1809 reichenden Bänden) gefunden . Er hat sich dann aber zunehmend mit Österreichischer Kirchengeschichte befasst , als Extraordinarius an der Universität Wien und als Direktor des Kirchlichen Instituts für Protestantische Kirchengeschichte Wien blieb der Blick jedoch auf den gesamten südostmitteleuropäischen Raum gerichtet .
In enger Kooperation mit dem Institutum Historiae Reformationis Europae Medio-orientalis Collegii Doctorum Ecclesiae Reformatae in Hungaria in Debrecen verwirklichte Barton gemeinsam mit László Makkai (1914-1989) die erste österreichisch-ungarische Koproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg , die aus einem internationalen Kirchenhistorischen Kolloquium in Debrecen 1976 hervorgegangen war, später auch noch den Pilotband einer Edition Ostmitteleuropäischer Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts . Leider wurde dieses anspruchsvolle Projekt nicht weiter fortgeführt.

Ein weiterer enger Kooperationspartner war das Institut für Reformations- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder in Kirnbach, später Bad Rappenau unter seinem Leiter Erik Turnwald (1918-1990) , der Kirchenhistoriker an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Prag Amedeo Molnár (1923-1990) , sein Budapester Fachkollege Mihály Bucsay (1912-1988), der seine vielbeachtete Geschichte des Protestantismus in Ungarn in der Institutsreihe herausbrachte .

Einer der engagiertesten Mitarbeiter des Instituts, in gewisser Weise auch einer seiner Väter, war der in Prag aufgewachsene lutherische Theologe Oskar Sakrausky (*1914), der als Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich einer der entschiedensten Förderer des Instituts gewesen ist und nota bene als Truber-Forscher über die Grenzen hinaus geschätzt wurde und wird . Ihm wurde anläßlich seines 80. Geburtstages der Dank des Instituts in Gestalt einer Festschrift überreicht .

Besondere Erwähnung verdienen vor allem die beiden aus Anlaß des Toleranzpatentjubiläums 1981 herausgegebenen Festschriften, die Historiker und Kirchenhistoriker dieses Südostmitteleuropäischen Raumes zusammenführte , zuletzt - um die Bezüge des Instituts zur Slowakei zu erwähnen - ein Sammelband über die Wirkungsgeschichte der Reformation auf dem Boden der Slowakei . Daraus erwuchs eine enge Forschungskooperation mit dem Bischofsamt der Evangelischen Kirche A.B. in Prešov und der dort herausgegebenen Schriftenreihe „Acta Collegii Evangelici Presoviensis“ .

Das Symposium in Bratislava wurde eingeleitet durch einen Rückblick des langjährigen Institutsdirektors Peter F. Barton, der aus gesundheitlichen Gründen bedauerlicherweise nicht selbst anwesend sein konnte. Er erinnerte an das betrübliche Faktum, dass im Rahmen des kirchengeschichtlichen Standardwerkes „Die Kirche in ihrer Geschichte“ wohl Lieferungen über die orientalischen Nationalkirchen vorgesehen waren, aber der Protestantismus in dem apostrophierten südostmitteleuropäischen Raum, insbesondere deutscher Zunge, kam nicht vor. Dieses Manko habe zur Gründung des seinerzeitigen Wiener Instituts geführt.

Der lutherische Bischof Mag. Herwig Sturm brachte den Dank der Kirchenleitung gegenüber Professor Barton und dessen Gattin zum Ausdruck, die über ein Vierteljahrhundert die Geschicke des Instituts getragen haben, ebenso auch der Evangelischen Kirche in Deutschland für langjährige finanzielle Unterstützungen. Sturm begrüßte die Übersiedlung des Instituts nach Bratislava, wo in dem neu errichteten Gebäude der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Machnač die idealen Rahmenbedingungen und Infrastruktur für den Institutsbetrieb gegeben seien. Mit Handschlag übergab er dem Dekan der Fakultät Prof. ThDr. Igor Kišš das Institut, das die diesseits und jenseits der March sowie in Ungarn und Siebenbürgen geleistete und zu leistende Forschungsarbeit miteinander zu vernetzen sich zum Ziel gesetzt hat. Mit einigem Recht darf sich das Institut in das slowakisch-österreichische Kulturabkommen hineinreklamieren, in dem davon die Rede ist, dass die Zusammenarbeit in den Bereichen der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft weiter ausgebaut werden sollen.

In seinem Vortrag „Von Wien nach Preßburg/Bratislava“ betonte der neue Institutsleiter Univ.-Prof. Dr. Karl Schwarz, dass die Übersiedlung auch der engen historischen Verbindung zwischen den beiden Städten und deren Theologischen Fakultäten Rechnung trage . Am Beispiel dreier Biographien wurde entfaltet, dass Wien und Pressburg näher beisammenliegen als Tübingen und Heidelberg und dass sich daraus eine besondere Verpflichtung zur Kooperation ergebe: des lutherischen Tschecho-Slowaken Karel Bohuslav von Lány (1870-1949), der 1918 als Sekretär des Wiener Evangelischen Oberkirchenrates augeschieden war, um in Bratislava in den Dienst des Schulministeriums zu treten und nebenamtlich eine Professur an der Kirchlichen Hochschule zu bekleiden, weiters des Pädagogen und Theologen Jakob Glatz (1776-1831) , der dem Karpatendeutschtum entstammte und als Konsistorialrat nach Preßburg übersiedelte, um zu den Sitzungen nach Wien anzureisen, schließlich des aus der Voivodina stammenden slowakischen Polyhistor Ján Kvačala (1862-1934), des Begründers der modernen Comenius-Forschung , der in der Bibliothek der Wiener Fakultät bei den Korrekturarbeiten zu seiner Reformationsgeschichte vom Tod überrascht wurde. Das Institut habe die ehrgeizige Absicht, zu einer Drehscheibe des zwischenkirchlichen und interkulturellen Diskurses, eben „Brücke zwischen Kirchen und Kulturen“ (Peter F. Barton) zu werden .

Der Leiter des Lehrstuhls für Kirchengeschichte Doz. PhDr. David Paul Daniel gab einen Überblick über die Forschungsarbeit zur Kirchengeschichte im Donau- und Karpatenraum und nannte in diesem Zusammenhang neben Barton die Namen Ludwig Binder (1914-1989) , Mihály Bucsay, Tibor Fabiny (*1924) , Gustav Hamann (1922-1978), László Makkai, Barnabas Nagy (1909-1969) , Karl Reinerth (1891-1987) , Endre Zsindely (1929-1986), die bedeutende Beiträge geleistet haben. Daniel, dessen Darstellung der slowakischen Reformationsgeschichte geradezu als ein Standardwerk zu gelten hat , sprach auch die Ausbildungssituation des wissenschaftlichen Nachwuchses bei Historikern und Kirchenhistorikern, vor allem aber die diffizile Quellenlage in dieser Region an. Der Generalbischof der Evangelischen Kirche A.B. in der Slowakei Dozent ThDr. Dr.h.c. Julius Filo berührte in seiner theologischen Betrachtung die Gefahren der Instrumentalisierung der Kirchengeschichte, der nur durch interkonfessionelle und interdisziplinäre Arbeit gewehrt werden könne.

In weiteren Grußbotschaften von seiten des Prorektors Prof. RNDr. Dušan Mlynarčík wurde das Interesse der Gesamtuniversität an dem aus Wien übersiedelten Institut zum Ausdruck gebracht, sowie durch die Vetreter der Theologischen Fakultäten in Budapest (Prof. Dr.theol. Jutta Hausmann, Prof. Dr.theol. et jur. Tibor Fabiny) und von Klausenburg und Hermannstadt (Prof. Dr.theol. Hermann Pitters) die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekräftigt. Dekan Kišš schloss den Festakt mit einem an die Evangelische Kirche in Österreich und die Evangelische Missouri-Synode in den USA gerichteten Dankeswort, ehe ein Rundgang durch das neue Gebäude zu einem geselligen Buffet führte.

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