PETER F. BARTON

Das »Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien« — Eröffnung und erste Arbeitsvorhaben

Schon lange war die Errichtung eines kirchlichen Institutes, das sich mit der Kirchengeschichte und vor allem mit der Geschichte des Protestantismus in dem weiten Räume zwischen dem ehemaligen Vorderösterreich und Siebenbürgen, zwischen Galizien und Bosnien beschäftigen sollte, ein dringendes Anliegen der an diesem Räume existentiell interessierten Historiker, Theologen und Kirchenmänner. Nach langwierigen und mühseligen Vorbereitungen konnte dieses Institut endlich am 14. Feber 1973 im Rahmen einer internationalen Tagung feierlich eröffnet werden.

Die Zusammenarbeit dieses Instituts mit anderen einschlägigen Instituten wurde teilweise bereits in die Wege geleitet. Dabei soll besonders darauf geachtet werden, daß der Gesamtbereich der Kirchengeschichte und zumal der Geschichte des Protestantismus in diesem Großraum nicht aus den Augen verloren wird. Trotz aller disparaten staatlichen, volksmäßigen, politischen, sprachlichen, theologischen und gesellschaftlichen Vielfalt der historischen Entwicklung in den Gebieten Galiziens, (Nordost-)Italiens, Jugoslawiens, (Süd-)Polens, (Nordwest-)Rumäniens, Schlesiens, der Tschechoslowakei, Ungarns und Österreichs sind viele Epochen der Kirchengeschichte in diesem Räume durch eine oft heimliche, aber immer starke innere Einheit gekennzeichnet. Die Kulturgeschichte und Kulturentwicklung der Völker dieses weiten Gebietes, das wir hier stark vergröbernd "Südostmitteleuropa" nennen wollen, wurde oft sehr erheblich von ihrer Kirchengeschichte beeinflußt. Von Anfang an waren dabei die wechselseitigen Kontakte sehr groß. Um nur einige Beispiele willkürlich herauszugreifen: Die Christianisierung des Donauraumes erfolgte vor allem von Sirmium (Sremska Mitrovica) aus. Bald trat Aquileia hinzu. In den ersten sechs Jahrhunderten der Kirchengeschichte blieb der Zusammenhang der einzelnen Kirchenbereiche in diesem Räume entweder gewahrt oder wurde doch nach den einzelnen Stürmen der Völkerwanderungszeit neu geknüpft. Das Großmährische Reich verdankte unter anderem der vom österreichischen Raum aus vorangetriebenen Mission wesentliche Glaubens- und Kulturimpulse. Der Plattenseeraum wurde von Salzburg aus christianisiert und teilweise auch kultiviert. Auch die Wirksamkeit der großen Slavenlehrer Kyrill und Method knüpfte viele gemeinsame Bande. Die Christianisierung der Magyaren erfolgte von Österreich, von Böhmen und von Byzanz aus. Dem Hussitentum verdankt die Religiosität, Kultur und Gesellschaft nicht nur Böhmens, sondern auch die der angrenzenden Völker vieles — nicht zuletzt in Ungarn. Auch die vom Untergrunde aus wirkende Waldenserkirche schuf wohl in all diesen Territorien wesentliche Voraussetzungen für die raschen Fortschritte der Reformation. Die Zeit der Reformation brachte eine besonders wertvolle Intensivierung der personellen, geistigen und geistlichen Kontakte zwischen den Völkern und Kirchentümern Südostmitteleuropas. Die deutschen Siedler leisteten dabei Pionierarbeit, doch folgten andere Völker bald nach. Der Humanismus hatte schon zuvor ein festes Netz intensiver Kontakte geschaffen. Die Reformation prägte oft die kulturelle Entwicklung der einzelnen Völker in ganz entscheidendem Maße mit — man denke etwa an die Bedeutung der slovenischen Bibelübersetzung für den slovenischen Großraum.

Das weithin gemeinsam erlebte Leid der Protestanten und Geheimprotestanten in der furchtbaren Zeit der Gegenreformation und des Barockkatholizismus bildete wiederum für die verschiedenen Völker und Kirchentümer ein starkes einigendes Band. Die Zeit der Toleranz und der Aufklärung brachte dann erst recht eine neue Vertiefung der wechselseitigen Kontakte: Ein Großteil der ersten Generation der evangelischen Geistlichen in tschechischen Gemeinden entstammte etwa dem ungarländischen Protestantismus. Noch viele Jahrzehnte später erfolgten entscheidende kirchliche Impulse für die selbständiger werdende Evangelische Kirche Cisleithaniens nach 1848 von Siebenbürgen wie von Österreich-Schlesien aus. Die einzelnen evangelischen Gemeinden und Kirchen der neuesten Zeit haben in Südostmitteleuropa, in der Regel auch durch die gemeinsame Diasporasituation geeint, einen nicht unwesentlichen Beitrag auch zur Geistes- und Kulturentwicklung und zum gesellschaftlichen Fortschritt ihrer Völker geleistet, der zu ihrem Prozentanteil innerhalb der Gesamtbevölkerung in keiner Relation steht. Die Verflochtenheit der einzelnen Kirchentümer blieb, vor allem was die personelle Durchlässigkeit anlangt, bis über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus gewahrt. Vor allem im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde von Galizien bis Triest, von der Bukowina bis Dalmatien, von Böhmen bis Siebenbürgen, von Südschlesien bis Südtirol ein intensiver Gedanken- und Personenaustausch vorgenommen.

In zunehmendem Maße wurde freilich im 20. Jahrhundert - vor allem nach dem Absterben der durch die Vorkriegsverhältnisse geprägten Generation - das Interesse an den Gesamtzusammen-hängen geringer. Die so beachtliche Gesamtbedeutung des facettenreichen und vielschichtigen Protestantismus in Südostmitteleuropa droht bisweilen aus dem historischen Bewußtsein selbst der Theologen zunehmend zu schwinden. In dieser Situation wird es unter anderem zu den Aufgaben des Institutes gehören, Kontakte zwischen den an der Geschichte des Christentums und des Protestantismus auch in Teilbereichen dieses Raumes interessierten Historikern, Theologen und Institutionen zu knüpfen und zu vertiefen, so weit dies in kleinem Rahmen möglich sein wird.

Das "Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien" wurde am Abend des 14. Feber 1973 eröffnet. Herr Bischof Oskar Sakrausky begrüßte die zahlreich erschienenen Festgäste aus dem In- und Ausland, darunter auch unseren lieben Herrn Altbischof Dr. Gerhard May, und wies in bewegenden Worten auf die Notwendigkeit und Bedeutsamkeit dieses Institutes hin. In seinem Festvortrag1 zeichnete der Direktor des Ostkircheninstitutes Münster, Prof. DDr. Robert Stupperich, die Grundkonturen der Entwicklung des Protestantismus im österreichischen und südosteuropäischen Räume sehr plastisch an und hob dabei dessen geistliche Dimensionen klar hervor. Der Vorsitzende des Freundeskreises, Prodekan Friedrich Spiegel-Schmidt aus München, führte in seinem Gründungsbericht in die lange und verwickelte Vorgeschichte des Institutes ein. Namens des Evangelischen Oberkirchenrates A. u. H. B. übermittelte Herr Landessuperintendent Imre Gyenge die herzlichsten Segenswünsche, nicht zuletzt auch der reformierten Schwesterkirche. Namens der beiden zuständigen Bundesministerien für Unterricht und Kunst bzw. für Wissenschaft und Forschung begrüßte Herr Ministerialrat Dr. Sagburg die Errichtung des Institutes mit warmen Worten. Namens der Evangelischen Kirche in Deutschland, die gleichsam Patenstelle am Institut vertritt, übermittelte Herr Oberkirchenrat Dr. Rolf Krapp die besten Wünsche, wie dies auch telegraphisch der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Dr. Dietzfel-binger, nach seiner Ankunft von seiner großen Überseereise tat. Namens der Evangelisch-theologischen Fakultät Wien sprach in Vertretung des verreisten Dekans der Ordinarius für Kirchenrecht, Prof. Dr. Christoph Link, neben herzlichen Wünschen auch die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit aus. Herr Prof. Dr. Otto Folberth übermittelte die herzlichsten Wünsche des Landesbischofs Dr. Klein und der reformierten und der lutherischen Abteilung der Evangelisch-theologischen Akademie Rumäniens. Im Zuge der neuerwachten ökumenischen Begegnung und Bewegung ist unter den brieflich eingelangten Grußadressen ein Schreiben des römisch-katholischen Erzbischofs von Wien an den Leiter des Instituts besonders wertvoll - wird ja doch heute die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Kirchengeschichte und auch mit der Geschichte des Protestantismus in Österreich und Südostmitteleuropa nur mehr in ökumenischer Weite erfolgen dürfen: "Zur Eröffnung des Instituts für protestantische Kirchengeschichte, Wien darf ich die Evangelische Kirche Österreichs und Sie, als den neuen Leiter des Instituts, recht herzlich beglückwünschen. Mit der Erforschung der Geschichte der Evangelischen Kirche im Raum der ehemaligen Monarchie ist dem Institut eine große Aufgabe gestellt. Wenn unsere Archive da ein wenig mithelfen können, will ich Ihnen gerne die Einsichtnahme ermöglichen. Mit den * besten Wünschen an Sie und Ihre Mitarbeiter - Franz Kardinal König."

In seinem Schlußwort führte der Leiter des Instituts unter anderem aus: "Heute ist ein Tag der Freude, aber nicht eines triumphierenden Jubels. Denn es ist niemand verborgen, daß heute die Kirchen weithin in Krisensituationen stehen. Das gilt nicht zuletzt für die Kirchen der Reformation, also für die Kirchen des Wortes, die sich im Äußeren wie im Inneren einem tiefverwurzelten Mißtrauen jedem "bloßen Wort" gegenübersehen. Zudem ist es gleichfalls offensichtlich, daß wir heute einem fast instinktiven Unbehagen an der Geschichte und der Vergangenheit begegnen. Harvey Cox spricht in seinem letzten allgemein bekannten Buch "Das Fest der Narren" geradezu von einer "Opferung der Vergangenheit". Daß dort aber, wo sich die Krisis der Kirche und die Krisis der Geschichte überschneiden, also auf dem Sektor der Kirchengeschichte, die Faszination, die diese heimliche Königin der theologischen Wissenschaften einst ausgeübt hat, weithin einem extremen Desinteresse gewichen ist, wird uns kaum wundernehmen.

In besonderem Maße hat jede Territorialkirchengeschichte und erst recht die Geschichte des auf so viele Territorien aufgesplitterten Protestantismus Südostmitteleuropas unter diesem wachsenden Desinteresse zu leiden. Die eminente historische, kulturpolitische, geistige und theologische Bedeutung des Diasporaprotestantismus in diesem Räume droht nicht nur aus dem Bewußtsein der säkularen, sondern auch der theologisch interessierten Öffentlichkeit zu schwinden. Zeichenhaft dafür steht etwa das Faktum, daß in dem großen repräsentativen Sammelwerk "Die Kirche in ihrer Geschichte" zwar der Kirchengeschichte Brasiliens, nicht aber der Kirchengeschichte in dem weiten Räume zwischen Galiziens und Dalmatien, zwischen Vorderösterreich und Siebenbürgen ein eigener Abschnitt eingeräumt wurde. Von Anfang an wies der Protestantismus im südosteuropäischen Raum nicht nur eine sehr starke innere Einheit, sondern auch eine in jeder Hinsicht disparate Vielfalt volksmäßiger, sozialer, kultureller, politischer und theologischer Strukturen auf. Diese disparate Vielfalt hat seine Bedeutsamkeit oft verdeckt. Die Kontinuität der kirchengeschichtlichen Entwicklung, die oft bis zum Ersten und mancherorts auch bis zum Zweiten Weltkrieg gegeben war, ist einer deutlichen Diskontinuität gewichen. Dazu kommt noch ein echtes Generationsproblem: Der größte Teil der um die Erforschung der südosteuropäischen Kirchengeschichte und zumal der Geschichte des Protestantismus in diesem Räume hoch verdienten Theologen und Historiker ist zwischen 55 und 80 Jahren alt. So wird es unser aller — und mit auch dieses Institutes — Aufgabe sein, dafür Sorge zu tragen, daß die Kette der Forschung nicht abreißt und daß die Geschichtsmächtigkeit dieses so traditionsreichen Diasporaprotestantismus nicht völlig verkannt wird. Das "Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien" kann sicher der Forschung nur bescheidene Hilfestellung geben. Was aber in seinen Kräften steht, soll und wird geschehen. Damit es das aber tun kann, ist die Hilfe und der Beistand von Ihnen allen nötig. Darf ich mit einem sehr persönlichen Bekenntnis schließen: Ich meine sehr wohl, daß die Erforschung der Kirchengeschichte in Österreich und Südostmitteleuropa und zumal die der Geschichte des Protestantismus in diesem Raum bei aller strikten Wissenschaftlichkeit der Methoden und Zielsetzungen mit zu dem unaufgebbaren Dienste gehört, den wir als Kirche Jesu Christi der Kirche wie der Welt schulden. "

Ein Essen und Trinken auf Wiener Art, zu dem die Kirchenleitung die Festgäste eingeladen hatte, beschloß in fröhlicher Stimmung den Abend. Das "Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien" gibt die Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte in drei Reihen heraus. In der Ersten Reihe, die im Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Wien-Köln-Graz erscheint, bringt der Herausgeber anläßlich des Gedenkens an die "1800 Jahre Christentum in Österreich und Süd Ostmitteleuropa" zum Teil handbuchartige Einführungen in die Kirchengschichte dieses Raumes, wobei auf das Verflochtensein der Territorialkirchen-geschichte mit der allgemeinen Geschichte, Geistesgeschichte und Kirchengeschichte besonderes Gewicht gelegt wird. Ursprünglich sollte der erste Band bis zum Jahre 1000 führen, doch mußte er aus finanziellen Erwägungen geteilt werden.

1975 erschien der Teil l "Die Frühzeit des Christentums in Österreich und Südostmitteleuropa bis 788", 287 Seiten stark, mit 24 Tafeln und Textabbildungen. Er fand in der Fachwelt bisher eine sehr gute Aufnahme. Wurde doch erstmals der Versuch unternommen, eine den ökumenischen Geist betonende, aber dem evangelischen Glaubensverständnis verpflichtete wissenschaftliche Gesamtkirchengeschichte dieses Raumes zu entwerfen. Die folgenden Teilbände, die gleichfalls der Herausgeber Peter F. Barton gestalten wird, sollen bis zur Gegenwart führen. Der zweite Teilband, der bis ins Hochmittelalter führen wird, wird 1977 erscheinen. Als Ergänzung dieser handbuchartigen Einleitung sind Gesamtdarstellungen einzelner Kirchen, einzelner Territorien und einzelner Problemkreise in Vorbereitung und Planung. Noch 1976 erscheinen in der gleichen Reihe:

Peter F. Barton, Reformation und "Bauernkriege". Eine Studie zur Vorreformation, Reformation, Gegenreformation und zu den "Bauernkriegen" in Südmitteleuropa.

Gerhard Florey, Geschichte der Salzburger Protestanten und ihre Emigration 1731/32

1977 soll die umfangreiche handbuchartige Einführung Mihäly Bucsay, Der Protestantismus und Ungarn in Geschichte und Gegenwart erscheinen.

In der Zweiten Reihe der Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte erscheinen unter anderem auch in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Aufsatzbände. Neben dem hier vorgelegten Ersten Band erschien 1975 bereits Band 2: Sozialrevolution und Reformation. Beiträge zur Vorreformation, zur Reformation und zu den "Bauernkriegen" in Südmitteleuropa, Wien-Graz-Köln (Böhlaus Nachf. ) 1975, 152 S. Noch 1976 sollen die Vorträge des Debrecener Kirchenhistorischen Symposions vom 12. 2. 1976 als Band 3 unter dem Titel: Rebellion oder Religion ? erscheinen. Aus dieser Reihe wird fortgesetzt.

In der Dritten Reihe erscheinen, maschinenschriftlich vervielfältigt, in kleiner Auflage Arbeitsbehelfe. So erschien bereits 1973/74 der erste Teil der "Beiträge zu einer Bibliographie des Protestantismus in Österreich und Südost-Mitteleuropa", der auf 182 Seiten über 1700 Nummern in mehrfacher übersichtlicher Ordnung darbietet. Ein zweiter Teil ist in Vorbereitung.

Das "Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien" stellt nicht nur eigene Beiträge für Periodica, Festschriften, Sammelbände etc. zur Verfügung, sondern bemüht sich auch, das Erscheinen von Aufsätzen anderer Autoren in diesen Werken zu ermöglichen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten hilft das "Institut" bei der Beschaffung kirchengeschichtlicher Informationen. Durch die Vergabe von Sprachstipendien an Theologiestudenten soll die zukünftige wissenschaftliche kirchengeschichtliche Aufarbeitung der nichtdeutschsprachigen Literatur zur Geschichte des Protestantismus Südostmitteleuropas mit vorbereitet werden. An dem Aufbau einer Fachbibliothek und eines Archives des "Instituts" wird ebenso gearbeitet wie an der Neuordnung und Erschließung der Bibliothek der "Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich". Durch den Vortragsdienst des "Instituts", konnte bisher in Deutschland, Italien, Österreich und Ungarn auf Probleme und Aufgaben des Christentums und zumal des Protestantismus Südostmitteleuropas hingewiesen werden. Durch persönliche Kontaktaufnahme wird die Zusammenarbeit der an der Kirchengeschichte Südostmitteleuropas Interessierten gefördert.

Von den großen Projekten des Instituts sind zwei besonders vordringlich: die Publikation einer repräsentativen Gedenkschrift angesichts des Toleranzjubiläums 1981 und die in Gemeinschaft mit einem internationalen Forscherkollektiv erfolgende Vorbereitung einer wissenschaftlichen Edition der reformatorischen Bekenntnisse - und später auch Kirchenordnungen - Südostmitteleuropas.