INSTITUT FÜR PROTESTANTISCHE KIRCHENGESCHICHTE
1180 Wien Severin Schreibergasse 3 (Informationsblatt)

Die Kulturgeschichte und Kulturentwicklung der Völker des österreichisch-südosteuropäischen Raumes wurde oft erheblich von ihrer Kirchengeschichte beeinflußt. Von Anfang an waren dabei die wechselseitigen Kontakte sehr groß. Um nur einige Beispiele herauszugreifen: Die Christianisierung des Donauraumes erfolgte vorallem von Sirmium (Mitrovica an der Save aus). In den ersten sechs Jahrhunderten blieb der Zusammenhalt der einzelnen Kirchen entweder gewahrt oder wurde nach den Strömen der Völkerwanderungszeit neu geknüpft. Das Großmährische Reich verdankte der vom österreichischen Raum vorangetriebenen Mission iroschottischer Mönche wesentliche Glaubensund Kulturimpulse, auch die Wirksamkeit der Slavenlehrer,. Kyrill und Methcd und ihrer Schüler knüpfte manche gemeinsamen Bande. Dem von Böhmen ausgehenden Hussitentum verdankt Religiosität, Kultur und Gesellschaft auch der angrenzenden Völker vieles - nicht zuletzt in Ungarn.

Die Zeit der Reformation brachte, eine besonders wertvolle Intensivierung der personellen und ideelle »Kontakte zwischen den Völkern und Kirchentümern des österreichisch-südosteuropäischen Raumes. Die Reformation hat hier oft die kulturelle Entwicklung der einzelnen Völker in ganz entscheidendem Maße mitgeprägt - man denke etwa an die Bedeutung der slowenischen Bibelübersetzung für den slowenischen Raum. Das weithin gemeinsam erlebte Leid der Gegenreformationszeit bildete wiederum ein einigendes Band.

Die Zeit der Toleranz und der Aufklärung brachte eine neue Vertiefung der wechselseitigen Kontakte. Der Großteil der ersten Garnitur der evangelischen Pastoren der Cechoslovakei entstammte etwa dem ungarischen Protestantismus. Die einzelnen evangelischen Kirchen der neuesten Zeit haben in diesem Raum, in der. Regel auch durch gemeinsame Diasporasituation geeint, einen nicht unwesentlichen Beitrag etwa auch auf dem kulturellen Sektor geleistet. Der österreichische Protestantismus verdankt auf geistigem und personellem Gebiet sehr viel dem ungarländischen und siebenbürgischen Protestantismus. Vor allem im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden von Galizien bis Triest, von der Bukowina bis Dalmatien, von Böhmen bis Siebenbürgen, von Südschlesien bis Tirol ein intensiver Gedanken-und Personenaustausch vorgenommen.Mitbeeinflußt durch die oft abgekapselte Beschäftigung mit der eigenen lokalen. Kirchengeschichte, droht die Gesamtbe-deutung nicht zuletzt des Protestantismus im südosteuropäischen Raum aus dem historischen Bewußtsein zunehmend zu schwinden.

In dieser Situation soll das "Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien", auf dessen Eröffnung am 14. / 15. Februar 1973 wir hiermit höflichst hinweisen, einen "bescheidenen Beitrag zur verstärkten Kenntnis der allgemeinen, insbesondere aber der evangelischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde der Gebiete (Nordost)Italiens, Jugoslawiens, (Süd)-Pplens, Galiziens und Südschlesiens, Österreichs, (Nordwest)-Rumäniens, der Cechoslovakei und Ungarns leisten.

Zu den Aufgaben des Instituts soll es gehören:

  1. Kontakte zwischen den an der Geschichte des Protestantismus interessierten Historikern, Theologen und Studenten zu knüpfen und zu vertiefen;
  2. Die Kirchengeschichtlichen Publikationen auf diesem Sektor zu fördern und zu sammeln?
  3. Einführungen in die allgemeine Kirchengeschichte, insbesondere aber in die Geschichte des Protestantismus dieses Raumes zu erstellen;
  4. Die kirchengeschichtliche Forschung einschlägiger Spezialthemen und Stoffgebiete zu fördern und zu koordinieren;
  5. An Vorbereitungsarbeiten zu einer Bibliographie des südosteuropäischen "Protestantismus mitzuwirken;
  6. Archivalien aus diesem Stoffkreis zu sammeln;
  7. An der Gewinnung des wisschschaftlichen Nachwuchses mitzuwirken;
  8. Das Interesse der Öffentlichkeit durch Vorträge und Tagungen zu wecken

usw.

Das "Institut" wird seine Arbeit zunächst in bescheidenem Maße aufnehmen. Rechtsträger des Instituts ist der Evangelische Oberkirchenrat A. u. H. B..
Die internationale Zusammenarbeit mit anderen einschlägigen Instituten ist geplant bzw. vorbereitet.

Derzeit für die nächste Zukunft - neben periodischen Publikationen - geplante literarische Arbeits-vorhaben;

  1. Erstellung mehrerer Einführungen in einzelne Epochen bzw. Gebiete des österreichisch - südosteuropäischen Raumes;
  2. Vorarbeiten an einer Bibliographie;
  3. Vorbereitung einer Pestschrift "Reformation und Revolution" angesichts der Bauernaufstände 1524-1526 bzw, 1626;
  4. Vorbereitung einer Festschrift angesichts des Jubiläums des Toleranzediktes.

Wien, am 14. 2. 1973 Direktor Univ. Professor

Dr. Peter F. Barton